Huber, Nicolaus A.: Pothos für einen Schlagzeugsolisten

Artikel-Nr.: 063-531
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In der Ära der großen Schlagzeugbesetzungen habe ich für kleine Besetzungen geschrieben. Dies gilt jetzt als zukunftsweisend. „Póthos“ ist also gegen den gegenwärtigen Besetzungstrend geschrieben. Ich bin trotzdem froh – es war eine neue Erfahrung für mich.
Allerdings nicht zu Anfang. Die Instrumente in meinem Arbeitszimmer zeigten sich stur, unnahbar und dickköpfig. Sie stellten sich taub gegen musikalische Klangstrukturierungen. Klangfamilien, hoch / mittel / tief, Farbraffinessen etc., waren schale Abfallprodukte einer Instrumentenwelt, die voller Verachtung auf Grenzüberschreitungen blickte. Erst als ich die Vorstellung einer riesigen Bibliothek hatte, in der alle Töne, Klänge und Geräusche feinsäuberlich eingeordnet waren und diese Klänge begannen, ihre Grenzen zu zersetzen und miteinander wechselzuwirken, eröffnete sich mir eine neue Kategorie des Zusammenhängens und -wirkens: nicht ein Strukturgedanke, sondern die Sehnsucht. Die Sehnsucht eines Klanges zum nächsten, die auch bestimmt, wie dieser Klang zu sein hat. Der Komponist, der Interpret, der Hörer ein Medium fürs Dazwischen. Sehnsucht hat Charakter, zeigt Vernunft, drängt auch zur Materialisierung.
Im Kratylos schreibt Platon von Póthos als einer bestimmten Art von Sehnsucht, die nach etwas anderswo Seiendem und Abwesendem (neben den anderen Arten von Eros und Hímeros). Es ist nicht naheliegend, wie der Klang, der vom Instrument kommt, aber zu bloßer schwingender Luft sich verwandelt, verräumlicht. Póthos, Hímeros und Eros galten auch als Söhne des Zephiros, des Westwindes, des Windes aus dem Dunkel, wo die Sonne untergeht.
Das ist für mich eine schöne Hörhaltung, die auch Sehnsuchtsgemeinschaften genießen kann, z. B. das Durchmesseraustasten von Anschlägen, instrumentenübergreifendes Spielen mit einer Hand, das Anschlagen von Instrumenten mit einem anderen Instrument und am Schluss das eigenartige Anblasen des japanischen Popen, das auf einem Bild Utamaros im Mund einer Dame zu sehen ist (ca. 1792), ein Glasspielzeug.
Wenn Sie sich beim Hören im Süden sitzend und nach Norden auf die Bühne schauend vorstellen, dann hat auch die Instrumentenaufstellung in einer Art Spirale, von Ost nach West verlaufend, den nötigen fließenden Ausdruck von Póthos, nach dem anderswo Seienden oder Abwesenden.

Nicolaus A. Huber (August 2010)

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