In der Ära der großen Schlagzeugbesetzungen habe ich für kleine
Besetzungen geschrieben. Dies gilt jetzt als zukunftsweisend. „Póthos“
ist also gegen den gegenwärtigen Besetzungstrend geschrieben. Ich bin
trotzdem froh – es war eine neue Erfahrung für mich.
Allerdings nicht
zu Anfang. Die Instrumente in meinem Arbeitszimmer zeigten sich stur,
unnahbar und dickköpfig. Sie stellten sich taub gegen musikalische
Klangstrukturierungen. Klangfamilien, hoch / mittel / tief,
Farbraffinessen etc., waren schale Abfallprodukte einer
Instrumentenwelt, die voller Verachtung auf Grenzüberschreitungen
blickte. Erst als ich die Vorstellung einer riesigen Bibliothek hatte,
in der alle Töne, Klänge und Geräusche feinsäuberlich eingeordnet waren
und diese Klänge begannen, ihre Grenzen zu zersetzen und miteinander
wechselzuwirken, eröffnete sich mir eine neue Kategorie des
Zusammenhängens und -wirkens: nicht ein Strukturgedanke, sondern die
Sehnsucht. Die Sehnsucht eines Klanges zum nächsten, die auch bestimmt,
wie dieser Klang zu sein hat. Der Komponist, der Interpret, der Hörer
ein Medium fürs Dazwischen. Sehnsucht hat Charakter, zeigt Vernunft,
drängt auch zur Materialisierung.
Im Kratylos schreibt Platon von
Póthos als einer bestimmten Art von Sehnsucht, die nach etwas anderswo
Seiendem und Abwesendem (neben den anderen Arten von Eros und Hímeros).
Es ist nicht naheliegend, wie der Klang, der vom Instrument kommt, aber
zu bloßer schwingender Luft sich verwandelt, verräumlicht. Póthos,
Hímeros und Eros galten auch als Söhne des Zephiros, des Westwindes, des
Windes aus dem Dunkel, wo die Sonne untergeht.
Das ist für mich eine
schöne Hörhaltung, die auch Sehnsuchtsgemeinschaften genießen kann, z.
B. das Durchmesseraustasten von Anschlägen, instrumentenübergreifendes
Spielen mit einer Hand, das Anschlagen von Instrumenten mit einem
anderen Instrument und am Schluss das eigenartige Anblasen des
japanischen Popen, das auf einem Bild Utamaros im Mund einer Dame zu
sehen ist (ca. 1792), ein Glasspielzeug.
Wenn Sie sich beim Hören im
Süden sitzend und nach Norden auf die Bühne schauend vorstellen, dann
hat auch die Instrumentenaufstellung in einer Art Spirale, von Ost nach
West verlaufend, den nötigen fließenden Ausdruck von Póthos, nach dem
anderswo Seienden oder Abwesenden.
Nicolaus A. Huber (August 2010)